von Herrn Prof. Dr. Lothar Hönnighausen (Universität Bonn)
bisher unveröffentlicht, geschickt an den General Anzeiger Bonn am 01.12.2010
Die Barbaren in Bonn?
Hier ist nicht von bisher unbekannten Normanneneinfälle in karolingischer Zeit die Rede, sondern von Barbarei jüngeren Datums. Wie sonst sollte man es nennen, wenn der höchste Repräsentant einer wegen der Qualität ihres Opern-, Theater-, und Konzertangebots über Deutschland hinaus bekannten Stadt eine der drei Säulen abzureißen droht. Wenn das nur “ein Denkanstoß” sein soll, fragt man sich, was man in der Führungsetage der Beethovenstadt unterdenken versteht.
Der Sturm der Entrüstung, den die Drohung, eine der Sparten Oper oder Theater zu schließen und dafür die bereits weggesparte Gattung “Tanz” re-etablieren zu wollen, hat uns eine wahre Flut von interessanten Informationen und Neuigkeiten beschert, u.a. die, dass der OB unter Tanz weniger so etwas wie den Nussknacker des Prager Nationaltheaters als die bei uns im Rheinland so beliebte Tanzkunst der Funkenmariechen verstehe. Insofern hat er Recht, die Kunst der Tanzkorps ist wirklich billiger zu haben als die international stark beachtete Wiederentdeckung von Meisterwerken wie d‘Alberts “Golem“ oder Schrekers “Irrelohe“ in der Bonner Oper.
Wenn der OB Zweifel an der Auslastung von Oper und Theater hat, sollte er mal – wie eine Reihe unserer größeren Wirtschaftsunternehmen das tun – versuchen, Karten für “Turandot“ oder “Carmen“, “Prinz von Homburg“ oder “Hedda Gabler“ für eine Gruppe von Geschäftspartnern zu buchen. Ausverkauft! Selbst “Nathan der Weise“ in der Werkstatt ist jedes Mal ausgebucht – was bei dieser kühnen Inszenierung nicht selbstverständlich erscheint. Aber wie sagte doch ein auswärtiger Besucher nach dieser “Nathan” Aufführung am 27.11. voller Begeisterung, “in welcher Stadt bekommt man so etwas Einfallsreiches und gleichzeitig Professionelles zu sehen?“
Aber es sind nicht nur die Besucher von auswärts, die durch das einzigartige Ensemble von Oper, Theater und Konzertangebot der Beethovenstadt angezogen werden. Noch wichtiger ist dieses Kulturangebot für unsere eigenen Kinder, angefangen bei denen, die sich für “Pünktchen und Anton“ begeistern, bis zu den Scharen von fortgeschrittenen Schülern, die im Theater Bonn die großen Dramen der Welt erleben. Ein OB, der aus dem Lehrerberuf kommt, sollte schon mal die Kommentare dieser jungen Leute hören, etwa zu Heisekes Inszenierung von Schillers “Don Carlos“ und neuerdings Kleists “Prinz von Homburg” – , dass man nicht gedacht hätte, wie “echt spannend” so ein Stück ist, wenn man es im Theater sieht.
Ähnliches gilt für die Studenten. Die Dramen, die in den verschiedenen Philologien der Universität behandelt werden, bleiben – ob es sich um Sophokles “Antigone” oder Tennessee Williams “Die Katze auf dem heißen Blechdach“ handelt – trotz aller wissenschaftlichen Analyse – leblos, wenn man sie nicht aufgeführt sieht. Da Bonn eine der führenden Universitäts- und Studentenstädte Deutschlands ist, muss es auch eine Opern- und Theaterstadt bleiben.
Zumal durch das jetzige Angebot von Theater Bonn ein erstaunlich weiter Kreis von Menschen aller Schichten aus und um Bonn angesprochen wird. Davon kann man sich bei den Matineen der Theatergemeinde Bonn und der Freunde der Kammerspiele mit ihren Podiumsdiskussionen von Regisseuren, Schauspieler, und Literaturwissenschaftlern ebenso überzeugen wie bei den Konzerten des Vereins der Opernfreunde.
Was von dem braven Vorschlag (GA 2.12. 2010) zu halten ist, die Oper abzuschaffen, um die Schulden zu bezahlen, kann man am Beispiel der Städte in den USA sehen, die keine Opernhäuser und trotzdem Schulden haben. Dass Deutschland ein einzigartiges Netz von Opernhäusern und Theatern unterhält, ergibt sich nicht zuletzt aus der besonders hervorragenden Rolle der Musik und des Theaters in der deutschen Kultur. Es ist ein Geschenk und eine Verpflichtung. Amerika, wo die Theaterfeindlichkeit der Puritaner zu einer „tabula rasa“ geführt hat, kann kein Vorbild sein für ein Land wie Deutschland, dessen Oper- und Theaterlandschaft ein einmaliges Kulturerbe darstellt.
Wenn gespart werden muss, auch im Bereich der Kultur – wo allerdings keine bedeutenden Summen zu holen sind – dann muss es mit Sachverstand geschehen und unter Beteiligung der Verantwortlichen, Generalintendant und Generalmusikdirektor, die allerdings jetzt schon mit einem Spar-Budget auskommen müssen. Sonst ergeben sich solche Ungereimtheiten wie der Plan, Theater und Beethovenhalle zu halten – die letztere wegen der “Vermarktung des Artikels Beethoven“- und für die Oper nach Köln zu fahren – um dort den “Fidelio“ des Bonner Beethoven zu erleben?
Dafür kann nur jemand sein, der keinen Sinn hat für den Wert des kulturellen Gesamtkontextes dieser Stadt von der Beethovenhalle im Norden über die Oper zu den Kammerspielen im Süden in der Landschaft mit Rhein und Siebengebirge. Einer, der nicht weiß, welche einmalige kulturelle Gemeinschaftsleistung von Künstlern und Publikum die Schaffung eines solch komplizierten zusammenhängenden Organismus wie “Theater Bonn“ darstellt. Es muss in seiner Gesamtheit – wie wir es kennen, schätzen und lieben – erhalten bleiben. Erfreulicherweise scheinen das inzwischen auch viele im Stadtrat zu verstehen.
Prof. Dr. Lothar Hönnighausen (Universität Bonn)